Gedanken zum 13.August
Anlässlich der Feierlichkeiten zum Gedenken der Opfer von Mauer und Teilung am 13.August hörte ich mich nachdenklich stimmende Gedanken des jungen Literaten Julius Fischer. Diesen Text gebe ich mit Genehmigung von Herrn Julius Fischer nachfolgend gerne wieder:
Wir sind, was folgt
Wir sind die Neuen.
Die Nachgeborenen, die Uninvolvierten.
Wir sind grenzenlos.
Haben keine Mauern. Nichts ist uns unmöglich.
Wir können nach New York fliegen, ein bisschen über die Vereinigten Staaten und den Konsum lästern und im gleichen Atemzug sagen:
"Also ich will die nächsten Jahre in China leben. Da ist alles so schön billig und als Ausländer hat man die Achtung der Leute. Das mit der Presse- und Internetfreiheit ist nicht so schlimm,schließlich wissen alle Chinesen, dass sie überwacht werden und haben sich damit arrangiert.
Oh, ich muss los, billige Hosen shoppen!"
Wir sind überall.
Nur nicht in der Uckermark.
Ausser einer unserer Freunde besitzt dort ein Schloss.
Wir sind zynisch.
Wenn unsere Eltern uns von der DDR erzählen, winken wir nur ab und rufen:
"Ach, das sind doch wirklich olle Kamellen. Hier, schaut lieber nochmal dieses witzigeKatzenvideo auf Youtube. Die hüpft gegen die Wand. Gegen! die Wand!"
Als würde man den Onkel bitten, bei der Familienfeier nicht schon wieder von seinem Bandscheibenvorfall zu erzählen: "Ist doch jetzt vorbei, will keiner mehr hören. Kann man außerdem alles im Internet nachlesen. Da schreiben Leute ganze Blogs drüber voll. Mit Bildern. Und Links. Dein Zeug kann sich eh keiner merken.“
Wir haben kein Verhältnis zur Erinnerung mehr. Jeder noch so kleine Moment wird eingefangen und archiviert, für alle zugänglich gemacht, aber wer wird sich das Jemals anschauen? Welchen Wert hat eine solche Erinnerung?
Wir sind was folgt.
Wir messen uns nicht mehr nur anhand unserer Freunde im sozialen Netzwerk, sondern auch an der Anzahl von Blogs aus Krisengebieten, die wir abonniert haben. Dafür haben wir Angst vor unseren Nachbarn. Es geht einfach schneller, sich im Internet 20 Kilo feinstes Meersalz zu bestellen, als sich zu überwinden, im zweiten Stock klingeln zu gehen. Und es ist wahrscheinlich sogar billiger.
Wir sind so zynisch.
Unsere Anteilnahme an Schicksalen wird beliebig. Wenn in der U-Bahn Jemand in Ohmacht fällt, stecken wir uns das IPad in den Kopf und informieren uns über die Menschenrechtslage in Syrien. Ist ja auch wichtig.
Wir sind wichtig.
Zumindest, wenn man unseren Facebook-Seiten glauben schenken kann.
Und der Werbung.
Wir sind was folgt.
Wem, das wissen wir nicht genau. Unseren Eltern? Irgendwann verliert jede Generation das Vertrauen in ihre Vorgänger. Wenn wir Hilfe brauchen, finden wir sie auf dem größten Dorfplatz aller Zeiten, dem Internet. Wenn uns nicht gefällt, was wir sehen, suchen wir so lange weiter, bis wir Jemanden finden, der unsere Meinung teilt. Was die Kirche über viele Jahrhunderte für die Menschen war, heißt jetzt Google - Google Church, hier findet jeder etwas, woran er glauben kann. So wird jeder zum Experten, für sich ganz allein.
Oh, sind wir zynisch.
Wir können gar nicht anders. Das ist unser Schutzwall gegen die vielen Möglichkeiten die wir haben, die Entscheidungen, die wir treffen müssten. Wofür soll man sich interessieren?
Wofür kämpfen?
Die einzige Entität ist das Ich. Darin sind wir uns einig. Aber wir sind keine Einheit. Wir sind eine Keinheit, viele kleine Atome, die aneinander vorbei schießen, sich manchmal verbinden oder abstoßen, dabei keinem anderen Muster folgend als dem Chaos.
Wir können Dinge sagen wie: "Ob Kommunismus ob Demokratie, das sind doch auch nur schlechte Versuche, zu vertuschen, dass alle Menschen Egoisten sind. Links, rechts, schwarz, weiß, kleine egoistische Tiere."
Und Wir haben gar nicht so unrecht. Weil es eigentlich nichts gibt, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Oder zu viel.
Wir haben keine Feinde mehr, oder sie sind sehr abstrakt. Kapitalismus, Terrorismus, Kinderarbeit, die Banken, H1N1, die Schlümpfe. Das soll keine Entschuldigung sein, aber nur so konnten wir zu dem werden, was wir sind.
Wer alles sagen darf, dem fehlt der Scharfsinn, die Pointe.
Bei unseren Eltern war das anders. Die konnten nicht einfach beim Bier sagen: "Morgen fahre ich nach Australien. Oder nach West-Berlin."
Noch nicht mal im Bett.
Mein Stiefvater kommt nicht zu meinen Auftritten in Dresden, weil die an einem Ort statt finden, an dem er in den 80ern von der Staatssicherheit verhört wurde.
Der beste Freund meiner Eltern hat jahrelang mit ihnen Wein, Wohnung und Ideale geteilt, es aber nicht für sich behalten.
Und wir haben Angst, dass wir erwischt werden, wenn wir illegal Filme und Musik runterladen.
Dafür gehen wir sogar auf die Straße. Das ist doch mal was Konkretes.
Wir sind ADHS.
Wir fordern die größtmögliche Aufmerksamkeit für uns, können uns aber gleichzeitig nicht mehr als ein paar Minuten auf Irgendetwas konzentrieren. Deswegen lieben wir Statusmeldungen und Hundert-Meter-Lauf.
Wir sind Information,wir bestehen aus Information und Wasser.
Wir brauchen Informationen, in jeder Sekunde.
Wie würde eine Meldung wie der Tod von Peter Fechter heute verbreitet werden?
Eilmeldung der Tagesschau auf Facebook: Peter Fechter im Todesstreifen erschossen.
Meike Sonnenschein, Karls Bad und 11873 anderen gefällt das.
Sandro87 twittert: Ist es mehr als ein ironischer Zufall, dass Peter Fechter ein Maurergeselle war?
Estefania aus Spanien fotografiert sich vor der Unglücksstelle und schickt ihre GPS-Daten an alle ihre Freunde.
So ist das. Wir sind was folgt. Daran lässt sich nun mal nicht rütteln. Das Gute ist, es kann ja nur noch schlimmer werden. Wenn wir nicht wieder damit anfangen, uns anstatt mit der Gegenwart auch wieder mit unserer Vergangenheit zu beschäftigen. So schlecht sind wir eigentlich auch gar nicht. Wir wissen zumindest noch, was Bücher sind. Wir kennen Filme wie "Sonnenallee" oder „Das Leben der Anderen“ und sind durchaus in der Lage, mit unseren Eltern über die DDR zu diskutieren.
Wir haben Humor, Wir haben Katzenvideos und sind fähig zum Mitleid. Wenn auch aus den falschen Gründen.
Wir können unsere Kontakte in alle Welt nutzen, um ein Netzwerk zu knüpfen, das dafür sorgt, dass es weniger Machtmißbrauch gibt. Das hat ja schon ein paar mal ganz gut funktioniert.
Wir müssen eigentlich nur wissen, wem wir folgen.
Und wer uns folgt.
Wir sind was folgt.
Und dessen sollten wir uns immer bewusst sein.